REAL TOTAL
·7 February 2025
Geordnetes Chaos? Warum Atletis Variabilität so gefährlich ist
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·7 February 2025
Carlo Ancelotti erwartet am Samstag eine Menge Arbeit – Fotos: Getty Images
REAL TOTAL analysiert, warum der Stadtrivale derzeit so stark ist und wie es Trainer Diego Siemeone gelungen ist, sich neu zu erfinden und ein absolutes Topteam zu formen.
Mit Blick auf die taktische Grundordnung deuten Simeones Aufstellungen in den meisten Partien auf eine 4-4-2-Formation (oder ein 3-5-2 mit hochschiebendem Innenverteidiger) hin. De facto hat der Argentinier aber eine Mannschaft erschaffen, die sich einerseits hervorragend den Stärken eines Gegners anpassen kann und andererseits über eine Vielzahl an Stärken verfügt.
Die Vierer- oder Fünferkette steht in der Auslösung oftmals sehr breit, wobei die Außenverteidiger nicht immer besonders hoch schieben – Screenshot: Sportdigital Fußball
Besonders interessant ist dabei, dass die „Rojiblancos“ in der Spieleröffnung oftmals mit einer enorm breiten Viererkette agieren. So postieren sich die Innenverteidiger zumeist strafraumbreit (flach). Anders als in anderen Topclubs, in denen die Außenverteidiger entweder enorm weit hochschieben oder einrücken, halten die Atlético-Außenverteidiger in der Regel den Kontakt zu den Innenverteidiger. Dabei positionieren sie sich kaum höher als die Spieler im Abwehrzentrum.
Wird der Gegner nach vorn gelockt, soll der Raum im Rücken mit (halb)diagonalen Pässen bespielt werden – Screenshot: Sportdigital Fußball
Die Idee dahinter scheint darauf abzuzielen, in der Auslösung maximal in die Breite spielen zu können und den gegnerischen Verbund zu locken. Wenn ein Gegner (wie zum Beispiel der FC Barcelona) hoch pressen will, erfordert dies ein Zustellen in der kompletten Breite. Automatisch ergeben sich dann Räume im Rücken der ersten Reihe des Gegners. Diese sollen im Idealfall per diagonalem Flachpass bespielt werden.
Wenige Sekunden später befinden sich die Hauptstädter in einer hervorragenden Feldposition – Screenshot: Sportdigital Fußball
Besonders spannend ist dabei die Rolle von Rodrigo de Paul und Pablo Barrios. Während de Paul in der Regel höher positioniert ist und sich vermehrt ins Angriffsspiel miteinschaltet, gilt Barrios (durchschnittlich 65 Ballaktionen pro Spiel) als derjenige, der den Rhythmus des Atlético-Spiels vorgibt. Da der Raum im Zentrum aufgrund der ungewöhnlichen Statik relativ groß (und unbesetzt ist), rochieren die restlichen Spieler (primär die Flügelspieler) immer wieder in die Halbpositionen, um einerseits Anspielstationen zu bieten und andererseits direkt ins Gegenpressing übergehen zu können, sofern der Ball verloren wird.
Wenn man sich die Spielweise von Atlético anschaut, spielen die Simeone-Schützlinge sicherlich nicht immer den attraktivsten Ball. Bevor sie „in Schönheit sterben“, wählen die „Rojiblancos“ im Zweifel oftmals den langen Ball. Indikatoren hierfür sind zum Beispiel die Ballbesitzquote oder die Passquote. Während Real Madrid in LaLiga im Schnitt 61,6 Prozent Ballbesitz aufweist (Top-Wert nach dem FC Barcelona mit 68 Prozent), hat Atlético Madrid lediglich 52,8 Prozent der Spielzeit den Ball in seinen Reihen. Und auch die Passquote der Königlichen ist mit rund 90 Prozent deutlich höher als jene des Stadtrivalen (84,4 Prozent).
Ist der Druck zu groß, wählt Atlético im Zweifel oft den langen Ball… – Screenshot: Sportdigital Fußball
Daraus lässt sich die Spielweise ableiten: So setzt Real Madrid gegen die meisten Gegner auf klare Spielkontrolle. Atlético Madrid hingegen liebt es, den Ball in guten Positionen zu gewinnen und dann überfallartig seine Angriffe auszuspielen. Dafür setzt der aktuelle Tabellenzweite immer wieder auf das Mittel des zweiten Balles.
… gewinnt dann durch eine gute Positionierung oder Antizipation aber oftmals den zweiten Ball, um dann gezielt in die Tiefe spielen zu können – Screenshot: Sportdigital Fußball
Durch ihre gute Positionierung (auf der Ballseite) sind die Simeone-Schützlinge für zweite Bälle sehr gut aufgestellt. So wählen die „Colchoneros“ in vielen Drucksituationen den langen Ball. Und selbst wenn sie den Kopfball nicht gewinnen, können sie sofort Druck auf den Ball geben und durch gutes Gegenpressing hohe Ballbesitzpositionen generieren. In solchen Situationen sind Spieler wie Antoine Griezmann, Julián Álvarez oder auch Alexander Sørloth in der Lage, mit wenigen Pässen zum Torerfolg zu kommen.
Ein weiteres charakteristisches Mittel der Simeone-Elf sind die immensen Positionsrochaden. Dabei scheint das oberste Ziel zu sein, Räume zu finden, um anspielbar zu sein und situativ eine Seite zu überladen (auch mit Blick auf Gegenpressingsituationen). Interessant sind in diesem Zusammenhang zwei Personalien im Speziellen: Zum einen ist Antoine Griezmann der Spieler, der sich oftmals aus er Tiefe (vertikal) fallen lässt (nicht selten aus Abseitspositionen), um möglichst ohne direkte Gegnerzuordnung anspielbar zu sein.
Antoine Griezmann findet immer wieder Positionen im Rücken des Gegners, oft aus der Tiefe kommend – Screenshot: DAZN
Da sich die gegnerische Abwehrkette in solchen Momenten häufig fallen lässt, bekommt Griezmann genau dann die Möglichkeit, per Steckpass Torgefahr zu erzeugen.
Griezmann (roter Kreis) dreht sich auf und findet Álvarez (grüner Kreis), der viel Platz vor sich hat – Screenshot: DAZN
Sehr interessant ist zudem die Personalie Alexander Sørloth, der in elf seiner 19 LaLiga-Einsätze als Einwechselspieler fungierte – und dennoch bester Torschütze der Simeone-Elf ist. Der Neuzugang ist aufgrund seiner Physis in der Lage, die Statik des Spiels entscheidend zu ändern. Ein Mittel, dass Simeone auf diesem Niveau in den letzten Jahren nicht hatte.
Wenige Sekunden später taucht Griezmann fast schon am rechten Flügel auf. Der Ausnahmespieler ist für den Gegner kaum greifbar. Will Simeone die Statik ändern, bringt er mit Sørloth einen klaren Neuner – Screenshot: DAZN
Auch wenn viele kleine Stellschrauben dazu geführt haben, dass Atlético Madrid offensiv mehrdimensionaler daherkommt als die vergangenen Jahre, so bleibt das Verteidigen die Kernkompetenz des Titelkandidaten. Gerade einmal 14 Gegentore in 22 Spielen sind defensiv das Maß der Dinge.
Atlético verteidigt sehr gern im 4-4-2 und konzentriert sich darauf, die Mitte dicht zu bekommen – Screenshot: Sportdigital Fußball
Grundsätzlich verteidigt Atlético gern im 4-4-2 im Mittelblock – das heißt nicht unbedingt aggressiv in vorderster Linie (mit wenigen Ausnahmen, etwa gegen Dreier-/Fünferketten). Wirklich schwer bespielbar ist das Zentrum – hier sind die „Rojiblancos“ derartig präsent, dass die Angriffe des Gegners oft nach außen gedrängt werden.
Gegen dominant auftretende Gegner (hier gegen Bayer Leverkusen) switcht die Simeone-Elf auch gerne einmal in eine Sechserkette – Screenshot: DAZN
Gegen dominante Gegner wie den FC Barcelona switcht Atlético situativ auch in eine Fünfer- oder gar Sechserkette. Dabei hat der Schutz des Zentrums in den meisten Fällen oberste Priorität. Aufgrund der exzellenten Box-Verteidigung sind Flanken, zu denen sie ihre Gegner zwingen wollen, wenig vielversprechend. Außerdem führen abgefangene (Flanken)bälle nicht selten zu gefährlichen Umschaltmomenten.
Atlético Madrid ist in dieser Saison vielleicht so schwer zu greifen, wie lange nicht mehr. Neben der defensiven Stärke ist die offensive Last auf viele Schultern verteilt. Zudem gibt es nicht den einen offensiven Plan. Velmehr arbeitet Simeone mit vielen Rochaden und unterschiedlichen Statiken, die die königliche Notabwehr vor große Probleme stellen dürfte. Real Madrid könnte jedoch entgegenkommen, dass sie eine enorme Stabilität im eigenen Ballbesitz aufweisen. Gelingt es Ancelotti, die Spielfeldmitte spielerisch und physisch klar zu dominieren (etwa durch die Nominierung von Tchouaméni und Ceballos), könnte das Pendel (endlich mal wieder) in Richtung Real ausschlagen. Eines scheint klar: Neben einer enormen Willensleistung wird es auch die geballte Energie des Bernabéu benötigen, um den „aufmuckenden Lokalrivalen“ in die Schranken zu weisen.
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