VfL Osnabrück
·6 February 2025
In partnership with
Yahoo sportsVfL Osnabrück
·6 February 2025
79 Mal – so oft wurde die Stadt Osnabrück im Zweiten Weltkrieg Ziel alliierter Luftangriffe. Schutz in den Luftschutzanlagen der Stadt mussten die Menschen jedoch weitaus öfter suchen – lag Osnabrück doch in der Einflugschneise der einfliegenden Verbände. Einen Eindruck der beklemmenden Zeit in Bunker- und Stollenanlagen vermittelten Andreas O’Brien und Hauke Haubrock von den Osnabrücker Bunkerwelten jetzt in vier geführten Touren für VfL-Fans anlässlich der Erinnerungswochen im deutschen Fußball.
Lange hat es nicht gedauert, bis die vier für den vergangenen Freitagnachmittag angebotenen Touren ausgebucht waren. Jeweils 10 Personen, fast alle VfL-Fans hatten sich auf Einladung des Bündnisses Tradition lebt von Erinnerung am ehemaligen Luftschutzstollen Kalkhügel an der Feldstraße getroffen. Was aber ist die Intention dahinter, im Rahmen der Gedenktage neben den persönlichen Schicksalen der Verfolgten und Getöteten auch die Auswirkungen des Luftkriegs in den Blick zu nehmen? Schließlich waren die Angriffe auf das Deutsche Reich gewissermaßen eine Rückkehr des Kriegs auf den Boden, von dem er ausging.
Ein Grund liegt in der Vermittlung selbst. Wenn wir heute über den Nationalsozialismus, den Weltkrieg und den Holocaust sprechen, sind wir zeitlich 80 Jahre von ihm entfernt – und nur selten bestehen noch persönliche Bezüge. Doch gibt es zumindest noch Erinnerungsorte, deren Betreten uns das Nachempfinden der Geschehnisse erleichtern kann. Ein anderer liegt darin begründet, dass auch die in Deutschland Entrechteten und Verfolgten nicht vom Bombenkrieg verschont blieben. Im Gegenteil: Kriegsgefangene, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Osteuropa oder auch Insassen des „Arbeitserziehungslagers“ Ohrbeck mussten im Kontext der Angriffe Arbeit in Osnabrück leisten. Etwa bei Räumarbeiten oder auch beim Bau der notwendig gewordenen Luftschutzräume. Und noch weit schlimmer: Sie selbst hatten keinen Anspruch auf einen Platz in den weitgehend bombensicheren Schutzräumen, wurden oft aus diesen vertrieben und waren den Bombardements so oftmals nur unzureichend geschützt ausgesetzt. Wer als mutiger Bürger widersprach, musste damit rechnen als „russenfreundlich“ denunziert zu werden.
Im Jahr 1943 begann man mit dem Bau des Kalkhügelstollens, der in einem zweiten ab 1944 durchgeführten Bauabschnitt erweitert werden sollte. Geplant waren insgesamt 600m Stollen mit Plätzen für bis zu 2.400 Personen, fertiggestellt wurden bis Kriegsende nur 350m mit Plätzen für ca. 1.400 Menschen. Das bedeutet, dass nach Vorstellung des Luftschutzes 4 Personen pro Quadratmeter in den Räumen ausharren mussten. Und das nicht für ein paar Minuten, „bis der Spuk vorüber war“, sondern oftmals für viele Stunden. Denn in der späten Phase des Krieges kamen die Bomber oft in mehreren „Wellen“. Die erste Welle sorgte mit Sprengbomben und Luftminen für das Abdecken der Dächer und erste Zerstörungen und bereitete der zweiten Welle das Futter: Mit Brandbomben und Phosphorkanistern sorgte diese für zahllose Brände, die sich nach der Vorstellung des Bomber Command bestenfalls zu einem Feuersturm vereinigten. Sprengbomben mit Verzögerungszündern erschwerten die Brandbekämpfung und die Räumarbeiten und wer glaubt, dass die deutsche Luftabwehr aus Flak und Jagdfliegern eine wirksame Verteidigung gewesen wäre, irrt. So nutzten die Angreifer bald nicht einmal mehr den Schutz der Dunkelheit: Die Britische Royal Air Force kam bei Nacht, die United States Air Forces griffen bei Tageslicht an – und verfolgten in Osnabrück lange vor allem militärische Ziele. Der Eisenbahnknotenpunkt und die kriegswichtige Industrie wurden vielfach stark getroffen – und schon durch die bloße Zahl an Angriffen und Luftalarmen auch erheblich in ihrer Produktivität gestört.
Im Stollen an der Feldstraße fürchteten derweil Tausende um ihr Leben. Sie mussten vom Bunkerarzt versorgt werden, gebaren ihre Kinder und mussten ihre Notdurft öfter an Ort und Stelle ihres Platzes denn in den viel zu wenigen und viel zu schlecht erreichbaren Toilettenanlagen verrichten. Sie sorgten sich um ihre Angehörigen, um ihr Hab und Gut und erkannten nach erfolgter Entwarnung beim Gang ans Tageslicht ihre Heimatstadt kaum wieder.
Die 90-minütige Führung durch die gut erhaltenen Gänge lässt niemanden, der auch nur einen Funken Anstand verspürt, kalt. Beim Verlassen des Bunkers, auf dem Weg nach Hause, noch Tage später denkt man an all die erschreckenden Zahlen. Die der tausenden Tonnen Bomben, die der über 1.500 bekannten Toten der Luftangriffe und die der vermutlich über 400 umgekommenen „Fremdarbeiter“, Kriegsgefangenen und anderen Menschen, die nicht in den Statistiken erfasst wurden.
Die Zeit des Zweiten Weltkrieges ist lange her und manch einer mag die TV-Dokumentationen darüber nicht mehr sehen oder sehnt sich gar nach einem „Schlussstrich“. Einen solchen kann es jedoch nicht geben, einen solchen darf es nicht geben. Die Erinnerung an die Schreckenszeit des Nationalsozialismus muss aufrechterhalten werden und damit das gelingt, sind lokale Beispiele unverzichtbar. Jeder, der in der Friedensstadt Osnabrück zu Hause ist, kann Weltgeschichte auch vor Ort erleben. Das Bündnis Tradition lebt von Erinnerung und der VfL danken den Osnabrücker Bunkerwelten deshalb für die interessanten Einblicke und Geschichten und empfehlen einen Besuch der Website www.osnabruecker-bunkerwelten.de.
Als ein kleines Zeichen für ein couragiertes Handeln in Zeiten von Entrechtung und Unterdrückung bleibt zuletzt das zumindest das Handeln eines Vorarbeiters beim Stollenbau in Erinnerung: Im Zuge eines Luftangriffs sorgte dieser dafür, dass „seine“ Zwangsarbeiter den Stollen entgegen der Anweisungen nicht verlassen mussten – ganz gleich, ob er danach als „russenfreundlich“ denunziert wurde oder nicht.
Text & Bild: David Kreutzmann