
Rund um den Brustring
·21 April 2025
Bereit für Europa?

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·21 April 2025
Vier Spiele vor Saisonende läuft dem VfB langsam die Zeit davon, will er sich noch über die Liga für den Europapokal qualifizieren. Und auch im Hinblick auf die Abkürzung über den Titelgewinn im DFB-Pokal wirft das 4:4 bei Union Berlin Fragen auf.
Eigentlich könnte ich mich beim Rückblick auf das Auswärtsspiel der Brustringträger an der Alten Försterei auf die erste Halbzeit beschränken. Denn nach dem Seitenwechsel lief das Spiel so, wie es allerseits von vornherein erwartet worden war: Union stand kompakt und ließ nicht viel zu, war aber selber auch harmlos, während der VfB sich mit viel Ballbesitz und Aufwand die Zähne ausbiss. Umso aufsehenerregender die ersten 45 Minuten, in denen so ziemlich gar nichts von dem klappte, was sich beide Mannschaften vorgenommen haben mussten: Die Berliner kassierten gleich vier Treffer, bekamen Deniz Undav bei seinem ersten Tor seit Februar nicht unter Kontrolle, waren machtlos gegen Jeff Chabots Kopfball sowie gegen den Kunstschuss von Enzo Millot und den platzierten Abschluss von Chris Führich. Der VfB kassierte ebenso vier Tore: Einen Sonntagsschuss und drei erwartbare, aber scheinbar nicht vermeidbare Tore jeweils nach Standards, das erste bereits nach fünf Minuten, das zweite nach 20. Union verspielte wie im Hinspiel eine 2:0‑Führung, der VfB konnte das 4:3 nicht in die Pause bringen. Neutrale Beobachter feierten das ganze hinterher als sogenanntes Fußballfest.
Ich kann dieser Begeisterung wenig abgewinnen. Denn während die Berliner nach der katastrophalen Vorsaison mit dem Unentschieden den erneuten Klassenerhalt sicherten, stolperte der VfB erneut beim Versuch, den Rückstand auf Platz 6 und damit den Einzug in den Europapokal über die Liga zu verkürzen. Natürlich muss man an dieser Stelle hervorheben, dass mit Undav und Millot zwei Spieler trafen, die seit Wochen ihrer Form hinterherlaufen. Dass der VfB zwei Mal binnen zwei Wochen in der Lage ist, vier Tore in der Bundesliga zu erzielen und dass sich die Mannschaft ins Spiel zurück kämpfte und aus einem angesichts der sonst so stabilen Union-Defensive aussichtslos scheinenden 0:2‑Rückstand ein 3:2 machte. Auf der anderen Seite kassierte sie aber eben auch, wie vor wenigen Wochen gegen Leverkusen vier Tore, so dass das eigene Viererpack nicht zum Sieg reichte. Und das auf eine Art und Weise, die mich sprachlos zurücklässt.
Denn wie schon in der Vorwoche beim Heimspiel gegen Bremen spielten die Brustringträger dem Gegner genau in die Karten. Was Werder die gewonnenen Zweikämpfe und die Pässe hinter die Viererkette waren, war Union der ruhende Ball. Beim VfB gerade defensiv selbst zu besten Zeiten ein Problem, das man immer noch nicht in den Griff gekriegt hat. Ob es nun die mangelnde Zweikampfstärke in der Luft oder die fehlende Zuordnung war: Fast jede der wenigen Standardsituationen versprach Gefahr für den VfB-Strafraum. Und immer wieder wurde eine Standard-Flanke an einen Pfosten verlängert, wo ein Gegner freistand. Man erinnere sich an das 3:2 von Jonathan Tah im Pokal-Viertelfinale letzte Saison nach einer Flanke von Florian Wirtz. Auch angesichts der Harmlosigkeit bei eigenen Ecken — Ausnahmen in letzter Zeit bestätigen die Regel — muss man sich fragen, was Standard-Co-Trainer Malik Fathi unter der Woche mit den Jungs eigentlich trainiert. Oder ob die Mannschaft nicht in der Lage ist, es umzusetzen. Dass Ermedin Demirovic nach 49 Minuten dann trotzdem nicht clever genug ist, einen weiteren Freistoß aus gefährlicher Position zu verhindern, passt zum VfB dieser ersten Halbzeit.
Nun haben wir uns schon daran gewöhnt, dass unserer Mannschaft in dieser Rückrunde scheinbar nie die Ideen ausgehen, wenn es darum geht, auf welch absurde Weise man Spiele in den Sand setzen kann. Da können einen auch rekordträchtige acht Tore in einer Halbzeit nicht mehr schocken. Dass wir uns aber derart ungeschickt anstellen wie zuletzt und es den Gegnern so einfach machen, ist erschreckend. Zudem hat die Mannschaft wieder jeglichen Schwung verloren. Der Finaleinzug als Wendepunkt? Verpufft. Die Verlängerung von Sebastian Hoeneß und die damit einhergehende Planungssicherheit? Verpufft. Fünf Punkte Vorsprung auf einen Nicht-Europapokal-Platz nach dem 4:0 gegen Freiburg Mitte Januar? Implodiert. Aktuell stehen die Breisgauer gefühlt uneinholbare sieben Punkte vor uns und klopfen hinter der Rumpeltruppe aus Leipzig ans Tor zur Champions League. Dem VfB hingegen fehlen mittlerweile sechs Punkte auf Europa, zudem müsste er in den nächsten vier Spielen ganze fünf Konkurrenten überholen.
Natürlich kann man immer wieder betonen, wo wir herkommen, die Saison in Ruhe ausklingen lassen und sich ganz aufs Pokalfinale gegen den Drittligisten aus Bielefeld konzentrieren. Das Pokalfinale am 24. Mai schwebt aber nicht irgendwo im luftleeren Raum oder auf einem anderen Planeten, sondern ist die Verlängerung der aktuellen Saison, mit der zu Beginn der Spielzeit wohl keiner der beiden Finalisten gerechnet hätte. Dass der VfB in den letzten drei Monaten seine hart erarbeitete Position in der Liga leichtfertig verspielt hat, ist das eine. Angesichts der aktuellen Form und der derzeitigen Probleme ist es aber alles andere als ausgemacht, dass das Pokalfinale zur Krönung — oder Rettung, Ansichtssache — der Saison wird.
Denn während Bielefeld zwei Klassen tiefer von Sieg zu Sieg eilt und in diesem Kalenderjahr von 15 Liga-Spielen nur vier verloren und zudem noch Bremen und Leverkusen aus dem Pokal geworfen hat, schleppt sich unsere Mannschaft gerade Richtung Saisonende. Vom vielzitierten Momentum keine Spur, auch wenn uns das 2007 jetzt auch nicht unbedingt zum Pokalsieg getragen hat. Immerhin haben unsere Jungs jetzt noch vier Spiele Zeit, Fahrt für dieses Spiel aufzunehmen. Dafür müssen wir aber endlich die richtige Haltung zu Spiel und Gegner entwickeln und die Fehler vermeiden, die nicht nur Bremen und Union die Punkte bescherten, sondern die auch Arminia Bielefeld im Finale eiskalt ausnutzen wird. Wir schauen alle lange genug Fußball, um zu wissen, dass in einem Pokalfinale die Ligazugehörigkeit und die Qualität auf dem Papier zweitrangig sind. Es geht um Einsatz. Haltung und Konsequenz.
Das ist es, was mich an diesem Spiel an der Alten Försterei so ärgert: Die nächste verpasste Chance, an Platz 6 heranzurücken und den Absturz seit März ein wenig zu lindern. Und damit verbunden der Druck, der auf dem Pokalfinale lastet, als wäre die Chance auf den ersten Titel seit 18 Jahren nicht schon Druck genug. Und gleichzeitig die gezeigte Anfälligkeit gegen Mannschaften, die mit einfachsten Mitteln gegen uns zum Erfolg kommen. Die Mannschaft hat in knapp vier Wochen die Chance die phänomenale letzte Saison nachträglich mit einem Titel zu krönen und trotz eines mittelmäßigen Abschneidens erneut in den Europapokal einzuziehen. Wenn wir nicht in der Lage sind, uns auf dieses Ziel zu fokussieren und die Chance zu ergreifen, dann haben wir dort allerdings auch nichts verloren.
Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass stellt fest: “Erklärungen hat der VfB immer schnell und davon viele. Lösungen leider keine.”
Titelbild: © Maja Hitij/Getty Images