MillernTon
·22 April 2025
Zu gut, um abzusteigen?

In partnership with
Yahoo sportsMillernTon
·22 April 2025
Kurz vor Saisonende spielt der FC St. Pauli den besten Fußball der Saison. Die Zahlen zeigen deutlich, dass sich das Team sowohl defensiv als auch offensiv weiterentwickelt hat.(Titelfoto: Stefan Groenveld)
Das Hoch des FC St. Pauli kommt zum perfekten Zeitpunkt. Während die Konkurrenten aus Heidenheim und Bochum die letzten drei Partien allesamt verloren, konnte der FC St. Pauli in dieser Phase fünf Zähler holen. So gelang es, sich im Kampf um den Klassenerhalt etwas abzusetzen. Acht Punkte Vorsprung bedeuten zwar immer noch, dass der FCSP absteigen kann, doch dafür müsste es nun ein großes (Heidenheim), riesiges (Bochum) oder fast nie da gewesenes (Kiel) Fußballwunder geben.
So durchlebt man beim FC St. Pauli aktuell eine nicht ganz ungefährliche Situation. Denn die bisher geholten 30 Zähler könnten unter gar nicht mal so unwahrscheinlichen Umständen reichen, um die Klasse in der Bundesliga zu halten. Es muss also dringend gegen einen Spannungsabfall angearbeitet werden, das „Kein Grund zur Entpannung“ von letzter Woche gilt weiterhin. Wenig verwunderlich deshalb, dass Alexander Blessin nach dem Punktgewinn gegen Leverkusen betonte: „Die 30 Punkte werden nicht reichen.“ Denn selbst, wenn er das anders vermutet, so könnte es ein fatales Signal aussenden, wenn der Cheftrainer sagt: Ich vermute wir sind gerettet. Die Gefahr, dass das eigene Team sich gehen lässt und der Rest plötzlich punktet, würde steigen. Im Fußball gab es gefühlt schon jedes Szenario zu sehen, auch die individuellen Fußballwunder von Heidenheim, Bochum und Kiel müssen ernsthaft in Betracht gezogen werden.
Es gibt also ein nicht zu verachtendes Restrisiko. Der FC St. Pauli sollte somit alles daran setzen, dass es sportlich genau so weitergeht wie zuletzt. Denn dann kann man sich ziemlich sicher sein, dass der FCSP auch kommende Saison in der Bundesliga spielen wird. Weil die Leistungen bundesligareif sind. Nun folgt ein Satz, den man im Verlauf der Saison fürchterlich fand, weil die Ergebnisse nicht zum Spiel passten. Aber vielleicht passt er jetzt etwas besser. Denn wenn es nur nach der Qualität des Spiels geht, dann gilt: Dieser FC St. Pauli spielt zu guten Fußball, um abzusteigen.
Diese Aussage gilt jetzt in der Rückrunde noch viel mehr als in der Hinrunde. Und das liegt gar nicht mal primär daran, dass der FC St. Pauli plötzlich mit Rückständen umgehen kann, zuletzt dreimal nach einem Rückstand noch punkten konnte. Das ist eher eine Folge von dem, was man auf dem Platz sehen kann: Der FCSP ist noch einmal besser geworden als in der Hinrunde, hat sich offensiv wie defensiv weiterentwickelt.
Zwar ist die Anzahl an Gegentreffern in der Rückserie für den FC St. Pauli auf ähnlichem Niveau wie in der bereits guten Hinrunde, doch die Statistiken zeigen deutliche Unterschiede. Denn in der Hinrunde ließ das Team knapp 11,4 Schüsse pro Partie zu. Das ist bereits gut, für einen Aufsteiger sogar sehr gut. Der FCSP lag damit im oberen Drittel der Bundesliga. Nun ist das Team aber defensiv sogar noch besser geworden. In der Rückrunde hat der FC St. Pauli bisher nur 8,2 Schüsse pro Partie zugelassen. In der Rückrunde lässt nur der FC Bayern München weniger Abschlüsse zu als der FC St. Pauli. Wow!
Dass Bayer Leverkusen und Holstein Kiel zuletzt in den Partien gegen den FCSP mal eben jeweils 50 Minuten gar keinen Abschluss hatten, ist für FCSP-Verhältnisse schon ein bisschen Gewohnheit. Auch in der Vorsaison hatte es solch beeindruckende Phasen gegeben – doch es ist alles andere als gewöhnlich. Diese enorme Defensivqualität wünschen sich etliche Teams, sie träumen davon, dass man, nahezu gegnerunabhängig, so stabil steht wie der FC St. Pauli. Defensive Leistungen werden generell nicht so hochgejubelt wie offensive, daher dreht das bitte mal um und stellt euch vor, dass der FCSP die nach Toren drittbeste Offensive der Liga stellen würde – es würde so hart abgefeiert werden. Daher sollte hier aufgrund der defensiven Stärke nochmal explizit erwähnt werden: Dieser FC St. Pauli spielt zu guten Fußball, um abzusteigen.
Auch offensiv ist eine Entwicklung zu erkennen. Lange Zeit konnte man die These vertreten: Wenn der FC St. Pauli in der Bundesliga bleibt, dann dank seiner defensiven Qualitäten. Diese These ist zwar immer noch haltbar, aber inzwischen ins Wanken geraten. Und das nicht, weil man defensiv nachgelassen hat. Nachdem man im Verlauf der Rückrunde mal vier Spiele in Serie nicht traf, drohte die Offensive ein (zu) großes Problem zu werden. Doch nun gab es gegen Bayer Leverkusen das sechste Spiel in Serie mit einem eigenen Treffer, von Problemen mit dem Toreschießen hört man am Millerntor plötzlich nichts mehr.
Dem Maestro bei der Arbeit zuzuschauen machte auch am Sonntag wieder großen Spaß. (c) Stefan Groenveld
Auch hier lohnt sich der Blick in die tiefergehenden Zahlen. Denn der FC St. Pauli hat in dieser Rückrunde bisher 10,4 Schüsse pro Partie abgegeben. Das ist sogar ein leichter Rückgang im Vergleich zur Hinrunde (10,9 Schüsse) und ohne das „Freak-Spiel“ gegen Mönchengladbach (27 Abschlüsse) lägen diese Zahlen noch viel weiter auseinander. Wie also hat es die Offensive des FC St. Pauli geschafft, mehr Torgefahr zu entwickeln, wenn die Anzahl an Abschlüssen sogar etwas nachgelassen hat?
Es folgt meine Lieblings-Statistik in Sachen Torabschlüssen. Weil sie eine verhältnismäßig hohe Aussagekraft besitzt, wenn es um den Erfolg oder Misserfolg von Teams geht (auch wenn Holstein Kiel da diese Saison ein deutlicher Ausreißer ist). In der Hinrunde hat der FC St. Pauli 53 von 185 Schüssen auch auf das Tor gebracht, macht 28,7 Prozent. Das war die schlechteste Quote der Bundesliga und entsprechend half es dem FCSP nicht, dass man bei der Anzahl an Abschlüssen und auch den xG-Werten zumindest stets Kontakt zum Rest der Liga hielt – die Folge war die schlechteste Offensive der Bundesliga. In der Rückrunde hat der FCSP bisher schon 51 Schüsse auf das Tor abgegeben, bei nur 135 Abschlüssen. Der Anteil ist also deutlich gestiegen, auf 37,8 Prozent. Auf zwölf Treffer in der Hinrunde folgten bisher 14 Treffer in 13 Rückrundenspielen.
Wie kommt es zu dieser Erhöhung der Abschlüsse auf das Tor? Es ist wohl eine Frage der besseren Abschlusspositionen. Denn der durchschnittliche xG-Wert des FC St. Pauli hat sich von 1,1 in der Hinrunde auf 1,4 in der Rückrunde verändert. Auch der durchschnittliche Abstand zum gegnerischen Tor beim Abschluss hat sich verbessert: In der Hinrunde betrug die durchschnittliche Entfernung zum Tor 18,7 Meter, in der Rückrunde liegt der Wert bisher bei 16,4 Meter. Das liest sich alles nicht so, als seien es sonderlich große Unterschieden, doch konsequent bessere Abschlusspositionen ergeben eben eine verbesserte Offensive beim FC St. Pauli. Eine zu gute, um abzusteigen.
Diese verbesserten Zahlen in der Offensive hängen vielleicht auch damit zusammen, dass der FC St. Pauli sich die Situationen kontrollierter erspielt. Zumindest deuten einige Statistiken darauf hin, dass der FCSP im spielerischen Bereich Fortschritte gemacht hat (sie bestätigen damit den visuellen Eindruck). So ist der Anteil an langen Bällen insgesamt zurückgegangen (von 14,1 auf 12,4 Prozent), das Team spielt vermehrt flach, hat mehr Ballbesitz als in der Hinrunde (von 43,4 auf 46,3 Prozent) und die Anzahl an Positionsangriffen hat insgesamt leicht zugenommen. Das kontrollierte Spiel führt unter anderem dazu, dass man auch besser positioniert ist, sich den Gegner besser zurechtlegt. Auffällig ist zum Beispiel, dass es dem Team nun viel besser gelingt, die Box zu besetzen. So ist die Anzahl an Flanken in der Rückrunde zwar unverändert im Vergleich zur Hinrunde, aber die Genauigkeit hat zugenommen, von 32,4 auf 36,1 Prozent. Dieser Wert hat auch etwas mit Spielkontrolle zu tun. Das Team entscheidet sich bewusster dafür, wann Flanken geschlagen werden, bricht auch gerne mal Angriffe ab, wenn die Box-Besetzung nicht wie gewünscht ist.
Der FC St. Pauli hat sich in der Rückrunde also teilweise stark verbessert, in beiden Spielphasen. Besonders die Partien gegen Leverkusen und Mönchengladbach haben dabei gezeigt, dass das Team in ganz unterschiedlichen Ballbesitzphasen Lösungen findet, ohne dabei die eigene defensive Stabilität zu verlieren. Der Saisonverlauf entwickelt sich dabei wie gewünscht: Als Liga-Neuling mit neuem Trainer konzentrierte man sich erstmal darauf, defensiv möglichst stabil zu stehen, ehe man nun etwas mehr Offensive wagt. Diese Entwicklung geht Hand in Hand mit der stets steigenden Erfahrung in der Bundesliga. Viele Spieler, die zu Saisonbeginn noch mit den höheren Ansprüchen in der Bundesliga fremdelten, haben sich individuell teils stark verbessert. Das führt insgesamt dazu, dass der FC St. Pauli eine bessere Rückrunde als Hinrunde spielt. So gut, dass man feststellen muss: Dieser FC St. Pauli spielt zu guten Fußball, um abzusteigen.
// Tim
Alle Beiträge beim MillernTon sind gratis. Wir freuen uns aber sehr, wenn Du uns unterstützt.
// Teile diesen Beitrag mit Deinem Social Media Account (Datenübertragung erfolgt erst nach Klick)